„In aller Freundschaft“: Eine perfekt gefälschte Klinik
So entsteht die beliebteste Krankenhausserie Deutschlands: HÖRZU verbrachte einen Tag am Set in Leipzig und blickte hinter die Kulissen von „In aller Freundschaft“.
Eine Reportage von HÖRZU-Redakteurin Melanie Koch
Vor der Sachsenklinik ist heute ziemlich viel los. Ärzte huschen geschäftig über den Hof, Patienten plaudern angeregt miteinander, ein Krankenwagen steht wartend vor der Tür. Alles wirkt wie der ganz normale Alltag eines ganz normalen Krankenhauses – wäre da nicht das Kamerateam, das im Hintergrund die Szene einfängt. „Danke – und aus“, ruft der Regisseur über den Platz – schon verharren alle in ihren Bewegungen und warten auf weitere Anweisungen. Es ist ein sommerlicher Vormittag auf dem Gelände der Media City in Leipzig. Seit neun Uhr stehen die Darsteller um Alexa Maria Surholt und Andrea Kathrin Loewig hier für eine Außenaufnahme des ARD-Dauerbrenners „In aller Freundschaft“ vor der Kamera – und HÖRZU ist dabei.

“IaF”-Folge “Ausgetickt” (1107) am 23. September: Ralf Borowski (Oliver Bröker) hat Dr. Lucia Böhm (Vanessa Rottenburg) in der Notaufnahme tätlich angegriffen. Schwer verletzt liegt sie nun auf der Intensivstation. Sein Hausverbot ignorierend, steht er plötzlich vor ihrem Bett. | ©MDR
Immer wieder wird die Szene aus verschiedenen Perspektiven gedreht. So lange, bis alles im Kasten ist. Das sorgt für Aufsehen: Von der anderen Straßenseite aus beobachten Passanten neugierig das Geschehen. Vielleicht lässt sich dabei ja ein kurzer Blick auf die beliebten Serienstars erhaschen. In Leipzig sind diese gut bekannt: Bereits seit 1998 läuft die vom MDR produzierte Serie um die Erlebnisse in der fiktiven Leipziger Sachsenklinik im TV, regelmäßig schalten über vier Millionen Fans ein. Am 28. Oktober können sie Folge 1111 erleben.
„Viele Zuschauer verbinden mit unseren Geschichten ein Gefühl von Nach-Hause-Kommen: Da schaut die Oma erst mit der Tochter, später dann mit der Enkeltochter“, erzählt Produzentin Inka Fromme, als wir sie am Rande der Dreharbeiten zum Gespräch treffen. „Die Fans kennen einige Figuren schon seit 27 Jahren. Das sorgt automatisch für ein Gefühl der Nähe.“ Aber auch für Herausforderungen bei den Autoren, gerade hinsichtlich altbekannter Stammfiguren wie Dr. Roland Heilmann (Thomas Rühmann): „Er ist von Beginn an dabei und hat vom Flugzeugabsturz bis zur Erblindung einfach schon viel erlebt“, sagt Fromme. „Wir versuchen immer, aus den kleinen Konflikten des Alltags Inhalte herzuleiten. Aber: Geschichten brauchen auch ein wenig Drama. Nichts ist im Fernsehen langweiliger als eine perfekt funktionierende Beziehung.“
Nach der Mittagspause zieht das Team zu weiteren Dreharbeiten in die Studios um. Hier entstehen die Innenaufnahmen der perfekt gefälschten Sachsenklinik. Während die ersten Folgen noch in der ehemaligen Carl-Zeiss-Jena-Messehalle auf dem alten Messegelände Leipzig umgesetzt wurden, filmt die Crew seit 2001 in zwei umgebauten Studios der Media City. In einem davon befinden sich die Wohnungen der Protagonisten, in dem anderen liegt das eingerichtete Filmkrankenhaus.

Über Bildschirme verfolgt das Team die Szene, die gerade gedreht wird. | ©Bavaria Film
Es ist ein erstaunlich authentisches Gefühl, hier durch die Räume zu schlendern: Vom kreisförmig angeordneten Hauptgang gehen die liebevoll gestalteten Patientenzimmer ab. Am Rande des Gangs steht eine Trage. Der Fahrstuhl wirkt, als sei er jederzeit bereit, Patientenbetten zu transportieren. Erst der Blick nach oben offenbart die Fiktion: Die Räume haben keine Decken, stattdessen hängen dort ein umfangreiches Beleuchtungssystem sowie Kameras.
Kunstblut kommt regelmäßig zum Einsatz
Hinter einer Schiebetür liegt der OP-Saal. Vom Ultraschallgerät bis zum Tablett mit Skalpell und Haken erinnert hier alles an einen realen Krankenhausraum. Selbst die Röntgenaufnahmen an der Wand sind bis ins Detail echten Fällen nachempfunden. Der OP ist einer der zentralen Arbeitsplätze von Sarah Zeising. Als medizinische Beraterin sorgt sie dafür, dass die in der Serie behandelten Fälle möglichst authentisch wirken. „Die Drehbücher werden mit einer Ärztin geschrieben, ich gehe sie dann mit dem Regisseur durch, damit er aus medizinischer Sicht versteht, was darin passiert“, erzählt die gelernte OP-Schwester. „Auch das Masken- und Kostümteam bekommt entsprechende Infos, um detailgetreu arbeiten zu können.“ Kunstblut kommt bei den TV-Operationen regelmäßig zum Einsatz. Schnitte und Nähte werden an aus Silikon gegossener Haut vorgenommen. Während des Drehs steht Zeisig am Set den Schauspielern bei: „Ich erläutere ihnen zum Beispiel, wie eine Blutabnahme technisch funktioniert, zeige die richtigen Handgriffe am OP-Tisch oder erkläre, wie manche Begriffe ausgesprochen werden.“

HÖRZU-Redakteurin Melanie Koch (l.) mit der medizinischen Beraterin Sarah Zeising. | ©MDR
Durch die Dreharbeiten erwerben die Schauspieler automatisch einschlägiges Fachwissen – so auch Andrea Kathrin Loewig, die die Anästhesistin Dr. Kathrin Globisch spielt. Von Tumorerkrankungen über Alzheimer bis zu Unfallverletzungen hat ihre Figur einiges gesehen: „Ich habe mir mittlerweile so ein gewisses Pseudowissen angeeignet, weil ich über die Jahre mit so vielen Fällen zu tun hatte“, erzählt die 59-Jährige, als wir sie in einer Drehpause treffen. „Wenn ich heute die Wahl hätte, wäre durchaus Interesse an einem Medizinstudium da. Privat bin ich mittlerweile zu einer Hobby-Homöopathin geworden.“
Einige der Darsteller wurden in den vergangenen Jahren ausgewechselt, Loewig ist seit 1999 dabei – und damit eines der prägenden Gesichter. „Wir unterschreiben in der Regel Jahresverträge, damit die Geschichten inhaltlich flexibel bleiben“, sagt sie. Manche Charaktere verlassen die Serie, pausieren oder kehren zurück, neue kommen hinzu. „Es werden immer mal wieder Publikumsumfragen gemacht, um zu schauen, was sich die Fans wünschen. Was kommt gut an, was weniger.“
Gab’s schon mal ein Drehbuch, bei dem ihr die Geschichte zu ihrer Figur nicht gefallen hat? „Wenn, dann reden wir miteinander, wir können auch Wünsche äußern“, sagt sie. „So durfte ich meine Idee, das Geheimnis um den Vater meiner Serientochter zu erzählen, auch mitentwickeln.“

Kathrin Loewig spielt seit 1999 die Anästhesistin Dr. Kathrin Globisch. | ©MDR
Seriendreh ist Fließbandarbeit. Insgesamt 42. Folgen von „In aller Freundschaft“ entstehen jährlich. Produziert wird blockweise, dabei entstehen je drei Folgen, die in neun Wochen fertig sein müssen – inklusive Vorbereitung, Dreh und Schnitt. Parallel sind stets zwei weitere Crews mit eigenen Blocks beschäftigt. Alle Beteiligten wissen um den Wert ihrer Arbeit für die Fans: „Wir sind ein Wohlfühlformat – was gerade jetzt, wenn die Zeiten schwieriger werden, gefordert ist“, sagt Produzentin Inka Fromme. „Bei uns erwartet die Zuschauer eine Prise Eskapismus, aber nie zu viel.“ In aller Freundschaft eben.